CHINA-JOURNAL 



 Eine Veröffentlichung der Deutschen China-Gesellschaft 
德中协会

Hg. und gestaltet von Gregor Paul



Ausgabe 1
2002-2004



Griesser, Ute, ThangkasRollbilder des tibetischen Buddhismus. Kulturelle Bedeutung und Möglichkeiten der Konservierung


Paul, Gregor, Traditionelle Kultur, nationales Wirtschaftssystem und internationales Geschäft – Anmerkungen zum deutsch-chinesischen Mit- und Gegeneinander

Runge, Wolfgang, Kooperation im
Wandel:

30 Jahre diplomatische Beziehungen
Bundesrepublik Deutschland – Volksrepublik China


 Woesler, Martin, Brief aus Peking. 30 Jahr-Feier deutsch-chinesische diplomatische Beziehungen 1972-2002



Thangkas – Rollbilder des tibetischen Buddhismus
Kulturelle Bedeutung und Möglichkeiten der Konservierung


1  Begriff, technologischer Aufbau und kunstgeschichtliche Einordnung

Ute Griesser


Begriff

Komplexer dreidimensionaler Aufbau








































Thangkas (tib. thang ka: „etwas, das zu rollen ist“) sind kompliziert aufgebaute dreidimensionale Objekte, bestehend aus einem mit opaken Leimfarben bemalten oder bestickten Baumwoll- oder Seidengewebe, im Folgenden als Thangka-Gemälde bezeichnet und einer kunstvoll ausgearbeiteten Stoffeinfassung, einem Baumwolluntergewebe, Holzstreben als oberen und unteren Abschluss,  Zierknöpfen, sowie zwei langen Bändern und einer oder mehrerer seidenen Abdeckungen.



Die Kunst des Thangkamalens  fällt unter den Wissenschaftszweig >Kunst- und Kunsthandwerk< und steht an der Spitze religiös-künstlerischer Kreation, da es langwierige geistige und maltechnisches Studien erfordert und da Thangkas ein Hilfsmittel für den Buddhisten zur Erlangung höherer Erkenntnisstufen sind.

Kunstgeschichtliche Einordnung

Die Thangka-Kunst ist aufs engste mit der Verbreitung des Buddhismus im Himalayaraum im 7.Jh. und dessen Splitterung in die verschiedenen Orden verknüpft. Ihre Ursprünge reichen bis in die Zeit nach dem Tod des Buddha Śākyamuni (563-483) v. Chr. und den unterschiedlichen künstlerischen Einflüssen Kaschmirs, Nepals, Chinas und Zentralasiens zurück, bevor sich über 1000 Jahre später eine eigenständige tibetische Kunstrichtung entwickelte. Thangkas können in drei funktionelle Kategorien eingeteilt werden:

Funktion:
Einteilung in drei Kategorien


























Bildteil transportiert die buddhistische Lehre



























Stiftungskunst



Stoffeinfassung  besitzt wichtige ikonografische Bedeutung

Thangkas mit Lehr- und Erziehungsfunktion: Schriftunkundige, weit zerstreut siedelnde, ländliche Bevölkerung wird durch umherwandernde Mönche mit der buddhistischen Religion und deren dogmatischen und historischen Gegebenheiten vertraut gemacht. Dargestellt sind hochrangige Persönlichkeiten aus der buddhistischen Religionsgeschichte, sowie Szenen aus deren Leben. Oder es werden in Form von Stammbäumen zum Beispiel ganze Linien sämtlicher Äbte eines Klosters illustriert.

Zu persönlichen Zwecken hergestellte
Thangkas:
  Das Anfertigen oder in Auftrag geben von Thangkas zählt im tibetischen Buddhismus zu den verdienstvollen Taten (Verdienst für den Maler und für den Auftraggeber). Als Gabe zu rituellen Zwecken für ein Kloster ist der Verdienst als ein doppeltes gezählt. Es handelt sich dabei um Gaben  für die dargestellte Gottheit in Form einer Widmung für eine kranke Person oder um den Wunsch, etwaige spirituelle oder körperliche Krankheiten zu beseitigen. Aber auch, um einem Verstorbenen eine glückliche Wiedergeburt zu ermöglichen.

Thangkas als Meditationsgrundlage: sind funktionell gesehen am häufigsten:
Sie dienen als Hilfsmittel, Gottheiten zu visualisieren. Das Visualisieren von Gottheiten ist eine von einer Vielzahl von Meditationsformen, die sich aus der Ausrichtung des tibetischen Buddhismus auf Yoga-tantrische Praktiken ergibt. Vom Bildinhalt kann kaum auf ihre Funktion geschlossen werden. Sie sollten als Ergebnis tiefenpsychologischer Prozesse verstanden werden, die nicht allein vom kunst- und religionswissenschaftlichen Ansatz her ergründet werden können[1].

Das Thangka-Gemälde transportiert mit seiner symbolischen Formensprache nach strengen Grundmustern großer tibetischer  Meditationsmeister und Mystiker die eigentliche buddhistische Lehre (Verehrung der dargestellten Gottheit, Widmung für eine kranke Person oder Ausdruck des Wunsches nach körperlicher oder spiritueller Gesundheit u. a.).
Die Kunst zeichnet sich durch eine stark verdichtete Bildaussage und eine zumeist expressiv gesteigerte Formensprache aus.

Auf diese Weise wird der sinnliche Gehalt der Darstellung auf eine geistige Ebene transportiert. Die seelische Grundhaltung, die Thangkas widerspiegeln, zeigt den Menschen-im Gegensatz zur westlichen Grundhaltung- nicht als Herrscher über den Kosmos, sondern als Bestandteil des Universums, das der ständigen Verwandlung unterliegt. Die Beziehungen zwischen dem Stifter und der Gottheit stehen im Vordergrund, weshalb Thangkas zumeist weder signiert noch datiert sind[2]. Und kommt auch der mehrteiligen, oft aus einzelnen, zumeist sehr edlen und aufwendig gearbeiteten Gewebeteilen zusammengenähten Stoffeinfassung - im Gegensatz zum Bilderrahmen der westlichen Tradition - eine wichtige ikonografische Bedeutung zu, so besitzen die übrigen Teile praktische und schmückende Funktionen: die Holzstreben stabilisieren das Thangka und erleichtern das Aufrollen, die Abdeckung schützt das Thangka-Gemälde vor den Blicken Uneingeweihter und die Bänder halten die Abdeckung in Position[3]. Neben den stilistischen Unterschieden geben auch der spezifischen Aufbau und die Form der Stoffeinfassung Auskunft über die Herkunft, die kulturelle Bedeutung und die zeitliche Entstehung eines Thangkas.

 

Das Thangka-Gemälde und die Stoffeinfassung müssen als Einheit betrachtet werden, was bei anstehenden konservatorischen und restauratorischen Fragen Berücksichtigung finden muss.

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[1] Lit.: Lavizzari-Raeuber, Thangkas Rollbilder aus dem Himalaya Kunst und mystische Bedeutung, Dumont Taschenbücher, Köln, 1984

[2] Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Marylin M. Rhie, Robert A. F. Thurman ,„Weisheit und Liebe-1000 Jahre Kunst des tibetischen Buddhismus“ in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 10.05.-01.10.1996

[3] Die Darstellung der Ikonografie und der Struktur solcher Stoffeinfassungen ist nachzulesen in: Studies in Conservation, 15 (1970), S. 190-205: John C. Huntington, „The Iconography And Structure Of Mountings Of Tibetan Paintings