CHINA-JOURNAL 



 Eine Veröffentlichung der Deutschen China-Gesellschaft 
德中协会

Hg. und gestaltet von Gregor Paul



Ausgabe 1
2002-2004



Griesser, Ute, ThangkasRollbilder des tibetischen Buddhismus. Kulturelle Bedeutung und Möglichkeiten der Konservierung


Paul, Gregor, Traditionelle Kultur, nationales Wirtschaftssystem und internationales Geschäft – Anmerkungen zum deutsch-chinesischen Mit- und Gegeneinander

Runge, Wolfgang, Kooperation im
Wandel:

30 Jahre diplomatische Beziehungen
Bundesrepublik Deutschland – Volksrepublik China


 Woesler, Martin, Brief aus Peking. 30 Jahr-Feier deutsch-chinesische diplomatische Beziehungen 1972-2002



Thangkas – Rollbilder des tibetischen Buddhismus
Kulturelle Bedeutung und Möglichkeiten der Konservierung


3 Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen an Thangka-Gemälde

Ute Griesser



Begriffe Konservierung und Restaurierung


Grundsätzlich geht die Konservierung von der Erhaltung des angetroffenen Zustandes aus. Alle geschichtlichen Aspekte wie die Gebrauchsspuren bleiben - sofern von diesen keine Prozesse ausgehen, die das Kunstwerk in seinem Bestand gefährden - erhalten. Die Restaurierung sieht im Gegensatz dazu die Wiederherstellung des als ursprünglich anzunehmenden Zustandes des zu bearbeitenden Objektes vor. Alterungsspuren können dabei zu Gunsten der Bevorzugung ästhetischer Aspekte häufig vollständig verloren gehen.

Westliche Restaurierungs-
auffassung

Anforderungen

In der aktuellen westlichen Restaurierungsauffassung ist das Original heilig: der Restaurator/die Restauratorin hat sich der künstlerischen Intension - seit der Renaissance ist sich der Künstler/die Künstlerin seiner/ihrer Schöpfungskraft bewusst und signiert bzw. datiert sein/ihr erschaffenes Werk! – zu 100%ig unter zu ordnen: aus dem Malerhandwerk entstanden hat sich die Restaurierung zu einem hoch spezialisierten, akademischer Beruf entwickelt, der neben handwerklich ausgefeilten Fertigkeiten ein hohes Maß an (material-)geschichtlichen, künstlerischen, kulturellen und naturwissenschaftlichen Kenntnissen verlangt. Der hohe Grad an Spezialisierung setzt im Falle der Thangkas als Materialkombination die interdisziplinäre Zusammenarbeit mehrerer Fachrichtungen voraus: die Fachrichtung „Gemälde“ als Aufgabengebiet der Verfasserin bearbeitet den gemalten Bildteil,  die Fachrichtung „Textil“ wird durch eine Textilrestauratorin[1] für die Bearbeitung der Stoffeinfassung abgedeckt.

 Andere Länder
 andere Sitten“: unterschiedliche Auffassungen und Wertmaßstäbe müssen berücksichtigt werden!

Die Schwierigkeit besteht darin, eine Kunstform in seinem Bestand zu bewahren, ohne seinen kultischen Gebrauch und seinen kulturellen Ursprung aus den Augen zu verlieren. Das künstlerische Original in Tibet erfährt im Unterschied zur westlichen Auffassung eine andere Wertigkeit, da es sich bei der tibetischen Kunst wie bereits erwähnt um eine Stiftungskunst handelt. Die Beziehungen zwischen dem Stifter und der Gottheit stehen im Vordergrund, weshalb Thangkas zumeist weder signiert noch datiert sind. Damit der Restaurator/die Restauratorin bei seiner/ihrer Tätigkeit an tibetischem Kunst- und Kulturgut den Objekten überhaupt gerecht werden kann, müssen die unterschiedlichen Auffassungen und Wertmaßstäbe berücksichtigt werden.

Beispiele:

Mehrere Beispiele sollen die Komplexität des Sachverhalts verdeutlichen:

1. Kultureller Gebrauch contra Bilderhaltung









2. Künstlerischer Anspruch contra kulturellem Kontext











3. Zerstört die aktuelle Auffassung der Konservierung und Restaurierung die religiöse Bedeutung von Thangkas?

 

Thangkas werden bei Nichtgebrauch bzw. für Transport- oder Lagerzwecken zur Bildinnenseite hin beginnend von der Unterkante aufgerollt. Im kulturellen Kontext soll die dargestellte Gottheit bzw. die abgebildete hochrangige Persönlichkeit bestmöglich geschützt werden, was bei Aufrollen mit der Bildseite nach außen nicht gegeben wäre. Für den Restaurator/die Restauratorin konservatorisch gesehen eine Katastrophe! Beim Einrollen gegen die Bildschicht kommt es unweigerlich zu Stauchungen der Bildschicht, die sich im Wechsel mit dem beim Aufrollen und Hängen eintretenden Ausdehnen des Bildgefüges in den bereits beschriebenen Schadensbildern manifestieren. Muss also – folgt der Restaurator/die Restauratorin der westlichen Auffassung der Restaurierung – der kulturelle Gebrauch untersagt werden?

Oft werden bei der Präsentation von Thangkas, an denen eine Seidenabdeckung/en vorhanden ist/sind und die im kulturellen Gebrauch den Bildteil vor den Augen „Uneingeweihter“ schützen sollen - das Thangka wird nur zu bestimmten Anlässen und zu bestimmten Zeiten geöffnet, vergleichbar vielleicht mit den Festtagsseiten eines Altarretabels - kunstvoll über dem Bildteil drapiert und damit dauerhaft ablesbar gezeigt. Damit setzt sich nicht nur die künstlerische Präsentation über den kulturellen Kontext hinweg, sondern es wird damit noch der natürlichen Staubschutzvorkehrungen vom Bildteil entfernt. Sollten die Maßnahmen dahingehend ausgerichtet werden, ob sich das zu bearbeitende tibetische Kunst-/Kulturobjekt in einer Kunstsammlung befindet oder seine kultische Funktion behalten soll? Müssen die Begriffe Kunst und Kultur getrennt betrachtet werden? Degradieren wir ein Kulturobjekt, wenn wir es zum Kunstobjekt deklarieren? Betrachten wir uns ein Thangka(-Gemälde) in einem westlichen Rahmen, so kann die letzte Frage nach Meinung der mit Ja beantwortet werden.

Für den religiösen Gebrauch werden Thangkas konsekriert. Das heißt, die werden durch einen hochrangigen Gelehrten, z.B. einem Lama, selig gesprochen. Die erfolgte Konsekrierung  eines Thangkas wird auf der Rückseite des Bildteils in Form von tibetischen Gebetsformeln oder durch Handabdrücke sichtbar. Streng genommen müssten durch das bloße Ansichtigwerden des Bildinhalts von einem „Uneingeweihten“ wie zum Beispiel der Restaurator/die Restauratorin und dann erst recht durch das Einbringen von Fremdmaterialien, wie es bei einer notwendigen Konservierung/Restaurierung zwangsläufig der Fall wäre, neuerliche Konsekrierungen am bearbeiteten Objekt vorgenommen werden. Eine Segnung durch den Dalai Lama  erfuhren alle Exponate bei der Eröffnung der Ausstellung „Weisheit und Liebe-1000 Jahre Kunst des tibetischen Buddhismus“ in der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn im Jahre 1996. So ist es folgerichtig, dass ein in der Schweiz lebender  Mönch bestrebt ist, bei der Wiederherstellung eines beschädigten Thangkas keine Fremdmaterialien in das Bildgefüge einzubringen. Die Methode, eine Fehlstelle in der Farbschicht durch Abschaben umliegenden, noch intakten Farbpartien optisch zu schließen, ist mit der westlichen Restaurierungsethik unvereinbar. Nach Auffassung dieses Mönchs würde das Einbringen fremder Materialien die Funktionalität  des Thangkas zerstören. Wir sehen die Zerstörung aber gerade in der Schädigung der noch intakten Farbschicht durch das Abschaben, auch wenn die Farbschicht damit „nur“ dünner geworden ist.


Austausch und Vermittlung sind notwendig.

Ziel der Konservierung und Restaurierung kann es nicht sein, eine in einem Kulturkreis als richtig angesehene bzw. als notwendig erachtete Methodik andere Kulturen über zu stülpen. Austausch und Vermittlung sind notwendig.

 

Ansprechen möchte die Verfasserin nicht nur Restauratoren und Restauratorinnen aller Fachrichtungen, sondern auch Kenner und Förderer fremder Kulturen, sowie Experten in Sachen Kunst und Kultur.

 

Maßnahmenkatalog:

Maßnahmen
 zur Konser
vierung




























Hänge-
unterstützende
Maßnahmen

Stabile Unter-
konstruktionen

Optisches Einbeziehen von Substanzverlusten
 
Verglasung

Lichtschutzvor-
kehrungen

Stützgewebe
















Ästhetisierende Maßnahmen

Wahrung der Authentizität

Konkret stehen bei der Konservierung die Festigung gelockerter Farb- und Grundierungsschich­ten, gezielte (Oberflächen-)Reinigungsmaßnahmen, Entfernen von/Schutz vor Mikroorganismen, das Reduzieren vorhandener Deformationen und das Stabilisieren von Rissen im textilen Träger im Vordergrund. Oft werden Thangkas bzw. Thangka-Gemälde vollflächig auf einen oder mehrere Hilfsbildträger geklebt, die Ränder des Thangkas werden dabei häufig beschnitten.  Neben dem Verlust des flexiblen Bildcharakters und der typischen Maßverhältnisse eines Thangkas gehen vom Klebemittel häufig schädigende Prozesse aus (Versprödung, Deformationen, Bildschichtverluste, Farbveränderungen, Migrationserscheinungen u.a.), die ein Entfernen notwendig erscheinen lassen. Bei fehlender „Perforierung“ durch Beschneidung des Bildträgers (Durchstoßungen in regelmäßigen Abständen entlang der Ränder des Thangka-Gemäldes, die ein Hinweis auf die ursprünglich vorhandenen Naht zwischen Bildteil und Stoffeinfassung sind und damit als Beweis für das ursprüngliche Vorhandensein einer Stoffeinfassung stehen – allerdings nicht zu verwechseln mit Durchstoßungen, die während des Grundier- und Malvorgangs durch das Aufspannen des Bildträgers in einem Spannrahmen entstehen!!) ermöglicht eine Randanstückung eine fachgerechte Montierung. Fehlende oder beschnittene Stoffeinfassungen und damit veränderte Größenverhältnisse können durch spezielle Montierungstechniken zwar kaum die ehemals vorhandene ikonografische Bedeutung wieder erlangen, jedoch vom restaurierungswissenschaftlichen Anspruch ausgehend als spätere Ergänzung und optisch gesehen wieder als „Ganzes“ erfahrbar gemacht werden. Unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang allerdings nicht, dass neben der grundsätzlichen Schwierigkeit, die bedruckten Seidenstoffe für die Stoffeinfassungen oder die besonders feinen oder gazeähnlichen Seidengewebe für die Abdeckungen zu beschaffen, sich fehlende Stoffeinfassungen nicht ohne direkten Vergleich mit Thangkas des gleichen Stils zur Ermittlung der genauen Ausmaße ergänzen lassen. Auf die Ergänzung fehlender Abdeckungen sollte bei vollständigem Verlust der Stoffeinfassung verzichtet werden, da weder die Intention des Kunstschaffenden bzw. Kunststiftenden oder -nutzenden bekannt ist, noch ermittelt werden kann, welche Farben für die Abdeckung(en) verwendet wurden, in welcher Reihenfolge sie angebracht waren, oder ob schließlich überhaupt Abdeckungen vorgesehen waren.

Individuell angepasste, höhenverstellbare Hängehilfskonstruktionen gewährleisten eine Hängung und den Gebrauch entsprechend des ursprünglichen kulturellen Kontextes, ohne durch Nähte oder Klebemittel mit dem Original in Kontakt zu stehen. Die Objektrückseite bleibt einsehbar, was in Bezug auf vorhandene Beschriftungen von Wichtigkeit wäre. An sehr fragilen Thangkas können Bewegungen im Bildgefüge durch die Montierung des Thangkas auf eine feste Unterkonstruktion minimiert werden. Dabei müssen die ursprünglichen Maßverhältnisse, soweit diese zu ermitteln sind, Berücksichtigung finden. Bei der Unterkonstruktion ist auf die Verwendung von hygroskopischen Materialien zu achten, das heißt, dass diese Materialien kurzfristige klimatische Schwankungen, wie sie in ungeregelt klimatisierten Räumen auftreten, bis zu einem gewissen Grad ausgleichen können. Von den verwendeten Materialien sollten keine schädigenden Prozesse ausgehen z.B. industrielle Vorbehandlungen von Stoffen oder Holzinhaltstoffe etc. Mit dem Unterlegen von gefärbten Stoffen im Grundton der Malerei können größere Fehlstellen innerhalb des Bildträgers farblich eingebunden und damit die Ablesbarkeit der Darstellung erhöht werden, ohne dass schwer wiegende konservatorische bzw. restauratorische  Eingriffe vorgenommen werden müssen (strukturelle und farblichen Ergänzungen). Als Staubschutz wäre die Montierung des Thangka hinter Glas – wobei das Thangka in ausreichendem Abstand zur Glasscheibe montiert wird – sinnvoll. Acrylglas kann wegen dessen elektrostatischer Aufladungen und der damit ausgehenden Gefahr für die Bildschicht nur dann eingesetzt werden, wenn ein ausreichend großer Abstand zwischen Objektoberfläche und Acrylglasscheibe eingehalten werden kann. Zur Berücksichtigung aktueller Standards zur Erhaltung von Kunst- und Kulturgut (Klimaschutz, Staubschutz, Schutz vor mechanischer Einwirkung) kann das Thangka in Anlehnung an dessen ursprüngliche Hängung am ehesten in einer geschlossenen Acrylglashaube präsentiert werden. Die Präsentationsform muss sich nach den Gegebenheiten am vorliegenden Objekt und an die jeweilige klimatische Situation richten, und ist je nach Einzelfall zu entscheiden, im Besonderen, was die mögliche Belüftbarkeit und die Materialwahl angeht. Dem Abbau organischer Materialien durch den kurzwelligen Anteil des Lichts kann durch UV-Schutzverglasung oder durch UV-Schutzfolien entgegengewirkt werden. Anstatt der Montage auf eine stabile Unterkonstruktion kann in sehr fragilen Einzelfällen die Wiedererlangung der Rollfähigkeit eines Thangkas – was dem ursprünglichen kulturellen Gebrauch entsprechen würde – durch das rückseitige Aufbringen eines Stützgewebes angestrebt werden. In der Auswahl solcher Stützgewebe bleiben die Rückseiten mit den gegebenenfalls auftretenden Konsekrierungs- oder Zauberformeln und andere Informationen ablesbar.

Sind ästhetisierende Maßnahmen wie farbliche Einbeziehungen von Fehlstellen erwünscht, so sollten diese darauf abzielen, die Ablesbarkeit der Darstellung zu verbessern, ohne dabei den Bildinhalt zu verändern und damit gegebenenfalls die Funktionalität zu beeinträchtigen, oder gar die Bildaussage zu verfälschen. Nochmals erwähnt seien hier die Notwendigkeit eines Austauschs zwischen den Kulturen und die Berücksichtigung unterschiedlicher Auffassungen und Wertmaßstäbe. Ein Wertmaßstab ist nach Meinung der Verfasserin die Wahrung der Authentizität eines Thangkas als (kultisches) Gebrauchsobjekt: Gebrauchsspuren und die Gebrauchsfähigkeit dürfen nicht vollständig zu Gunsten einer Bevorzugung ästhetischer Aspekte verloren gehen.





Mindestvor-
aussetzungen zum Erhalt von Thangkas


Im Allgemeinen gilt es, direkte Sonneneinstrahlung, stark Lichteinstrahlung und kurzzeitige Klimawechsel (wiederholtes und/oder länger andauerndes Öffnen von Fenstern und Türen zum Lüften etc., Hängung des Thangka in unmittelbarer Nähe zu Wärmequellen) zu vermeiden. Konstante Klimaverhältnisse bei Temperaturen von 18 bis 20°C und einer relativen Luftfeuchtigkeit von ca.  55% (+/-5%) r. F. sind einzuhalten.


Abbildungsnachweise

Bild 1. David & Janice Jackson, „Tibetan Thangka Painting Methods & Materials“, published by Serindia Publications, 1984, 1988,1994,1998, p. 143.

Bild 2 und Bild 3
sind entnommen aus dem Katalog zur gleichnamigen Wanderausstellung: Marylin M. Rhie, Robert A.F. Thurman, „Weisheit und Liebe – 1000 Jahre Kunst des tibetischen Buddhismus“,  in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 10.05.-01.10.1996,

S. 457: Tsongkhapa und Szenen aus seinem Leben, Zentralregionen Tibet, 17.Jh., aus Privatbesitz,

S. 221: Paramasukkha-Chakrasamvara (Vater-Mutter), Zentralregionen Tibet, spätes 15. bis frühes 16.
Jh., Privatsammlung.

Bild 4.
David & Janice Jackson, p. 142.

Bild 5.
Nicht näher identifiziertes Thangka-Gemälde aus Privatbesitz: Detail Bildteil, linke untere Ecke nach der Konservierung.

Bild 6.
Nicht näher identifiziertes Thangka-Gemälde, ca. 11.Jh., Privatbesitz: Detail Bildteil vor der Konservierung / Restaurierung.

Bild 7.
Zentraltibet, Thangka-Gemälde „Rinchen Zangpo“, Privatbesitz: ca. spätes 11. bis  Anfang 12. Jh., Zustand vor der Konservierung.

Bild 8.
Nicht näher identifiziertes Thangka-Gemälde aus Privatbesitz: Zustand vor der Konservierung.

Bild 9.
Nicht näher identifiziertes Thangka-Gemälde aus Privatbesitz: Zustand nach der Konservierung.

über die Autorin



[1] Anja Lienemann, Diplom Restauratorin (FH), Konservierung & Restaurierung textiler Kulturobjekte, 53809 Ruppichteroth, Rhein-Sieg-Kreis