Brücken in
die Zukunft.
Ein Manifest für den Dialog der Kulturen.
Eine Initiative von Kofi Annan.
Frankfurt am Main: Fischer 2001
Gregor Paul, Universität Karlsruhe, 05. 02. 02
Brücken für
die Zukunft ist ein insgesamt
gesehen außerordentlich gelungener Versuch, Perspektiven für
ein friedliches Miteinander der Kulturen zu entwickeln. Dabei sind mit Kulturen
in erster Linie die großen Kulturkreise des "Westens", des Christentums,
des Islams, des Hinduismus und des Konfuzianismus angesprochen. Aber dies
geschieht vor allem der Einfachheit und Verständlichkeit willen. Wiederholt
heißt es, dass diese Kulturkreise in sich keinesfalls homogen, sondern
sehr uneinheitlich sind, so dass es sich im Grunde verbieten würde, Ausdrücke
wie "der Islam" zu
verwenden.
Das Buch soll eine gemeinsame
Stellungnahme 20 weltbekannter Intellektueller aus verschiedenen Kulturen
sein. Aus dem deutschsprachigen Raum gehören Hans Küng und Richard
von Weizsäcker dazu. "Konfuzianische" Perspektiven werden vom Leiter
des Harvard-Yenching-Institutes, Tu Weiming, in die Stellungnahme eingebracht.
Aus dem islamischen Kulturkreis kommt, um ein letztes Beispiel zu geben, der
Iraner Javad Zarif. Mitunter ist auszumachen, wer an welcher Stelle "spricht".
Im großen ganzen aber beeindruckt die Einheitlichkeit des Inhalts: eine
sehr gute Leistung der Redaktion.
Nichts, was gesagt wird,
ist neu. Ich darf für mich in Anspruch nehmen, seit Jahren immer wieder
auf die Gemeinsamkeiten, die Menschen und Kulturen verbinden, hingewiesen
zu haben, auf die innere Heterogenität der Kulturen, ihre prinzipielle
Offenheit, ihren dynamischen, in steter Veränderung begriffenen Charakter,
auf die Möglichkeiten einer allgemeingültigen globalen Ethik; auf
die Gefahren, die den Ansprüchen kultureller Identität innewohnen
und so fort. Für besonders wichtig halte ich die Warnungen, die sich
gegen die Verwendung von Freund-Feind-Schemata richten. Völlig zutreffend
wird betont, dass das in Politik und Kultur -- aber, so füge ich hinzu,
auch bei Individuuen und Kleingruppen -- verbreitete Interesse, Feindbilder
zu entwerfen, eine der größten Gefahren für ein friedliches
Miteinander und den Frieden überhaupt ist.
Die Versuchung, Feindbilder zu konzipieren, ist sehr gross; denn sie bieten
eine so einfache wie erfolgversprechende Möglichkeit, eigene Identität
und letztlich so etwas wie eigene Selbstwertbestätigung über die
Auszeichnung (angeblicher) eigener Besonderheit zu realisieren.
Außerdem sind sie für Politiker leicht handhabare Machtinsturmente.
Ich selbst habe gerade der Analyse dieser Problematik mehrere Veröffentlichungen
gewidmet. Entsprechende Kritik trifft insbesondere jede Art religiösen
Fundamentalismus, aber z. B. auch die Politik der Bush-Administration, der
zufolge Feind ist, wer nicht Freund ist, und der zufolge der Irak, der Iran
und Nord-Korea "eine Achse des Bösen" bilden.
Die Elemente, die als Teile
eines neuen, friedensstiftenden Paradigmas zählen sollen, charakterisiert
das Buch mit folgenden Konzepten:
(1) "Gleichstellung" (equal footing) im Sinne einer Gleichstellung "der
Anderen" und ihrer gleichberechtigten Partization an globalen Entscheidungen
und Entwicklungen,
(2) "Neubewertung des Begriffs 'Feind'" "trotz des 11. September 2001" [!]
(S. 131),
(3) "Machtstreuung" im Sinne einer Machtverteilung auf verschiedenste
Träger wie z. B. auch NGOs, Wirtschaftsunternehmen, Lobbyisten usw.,
(4) "Teilhabe" -- im Gegensatz zur Ausgrenzung --,
(5) "individuelle Verantwortlichkeit" , die es verhindert, eigene Verantwortung
auf anonyme Gruppen und Institutionen abzuschieben, und
(6) "themenorientierte Kooperation" über die unterschiedlichsten Grenzen
und Gruppierungen hinweg.
Das Buch hat meines Erachtens
nur einen, freilich gravierenden Mangel. Es sieht Religiosität und Spiritualität
viel zu positiv. Das ist zum Teil gewiss durch das Interesse bedingt, niemand
vor den Kopf zu stoßen. Immerhin handelt es sich um eine Art offiziöser
politischer Publikation, die in mancher Hinsicht zu diplomatischen Formulierungen
zwingt. Das ist auch zu respektieren. In der Tat macht der Ton zumindest weithin
die Musik. Man vereitelt oft Verbesserungsmöglichkeiten, wenn man öffentlich
zu scharf kritisiert. So gesehen verdient es eher Bewunderung und Anerkennung,
dass das Buch bei aller Zurückhaltung im Stil in der Sache doch erstaunlich
klar ist. Der zweite Grund für die empririsch-deskriptiv schlichtweg
unzutreffende Beschreibung und Einschätzung von Religionen und Spriritualität
ist darauf zurückzuführen, dass Intellektuelle wie Küng und
Tu Weiming maßgebliche Stimme besaßen. Insbesonder Küng
ist ja sogar an einer religiös (mit)gründeten universalen Ethik
interessiert. In seinem Ansatz zur Entwicklung eines Weltethos erliegt er
freilich einem schlichten Zirkelschluss. Er abstrahiert und verallgemeinert
nämlich keinesfalls, was er an moralischen Normen
in den einzelnen Religionen
als Religiöses
findet. Vielmehr legt er von Außen ethische Kriterien an die Religionen
an und sucht heraus, was diesen -- von Außen an die Religionen heran
getragenen -- Maßstäben entspricht. Grundlegend und relevant sind
damit (auch) für Küng außerreligiöse allgemein gültige
ethische Prinzipien.
Generell gilt ganz einfach:
jede religiöse, nicht-säkulare Staatsform ist eine potentielle Quelle
der Grausamkeit und Gewalt. In gewisser Weise klingt diese Einsicht in dem
Buch zwar an. Sie ist jedoch nirgends mit der erforderlichen Explizitheit
ausgesprochen. Im Einzelnen sind u. a. folgende Stellen fragwürdig:
(1) der Ausdruck der Erwartung,
"andere in ihrer vollen
Besonderheit anzunehmen"
(S. 74); denn diese "
volle Besonderheit"
kann ja auch durch ein Ethos der Gewalt gekennzeichnet sein,
(2) die Behauptung, dass
die großen Religionen und dabei z. B. Bibel und Bhagavad-Gita
"übereinstimmend" Gewalt ablehnten (S. 76f.), denn Bibel
wie Bhagavad-Gita bieten auch Rechtfertigungen oder Rechtfertigungsmöglichkeiten
der Gewalt, enthalten sogar Rechtfertigungen oder Rechtfertigungsmöglichkeiten
des Mordes,
(3) die Behauptung, dass "die Essenz des menschlichen Glaubens" und "aller
religiösen Traditionen" so etwas wie eine allgemeingültige Moral
oder ein Weltethos sei (S. 226)
(4) dass "spirituelle Vorstellungen
und Übungen für das Wohl der menschlichen Gesellschaft ebenso erforderlich
wie angemessene materielle Bedingungen" seien,; denn diese Einschätzung
verlangt eine ungewöhnliche Interpretation von "Spiritualität",
die -- jedenfalls nach gängigem deutschen Sprachgebrauch -- eine körperfeindliche,
zumindest aber eine dualistische Einstellung charakterisiert. "Spiritualität"
in uneigentlicher Bedeutung zu gebrauchen, ist zwar möglich, bedarf aber
der Erläuterung.
Auch die Angst davor,
"eurozentrisch", "logozentrisch" oder "westlich" zu argumentieren, ist vielfach
erkennbar. Sie dürfte für die positive Bewertung von Gefühlen
als Grundlage der Menschlichkeit, von Spiritualität und (angeblich)
nicht-individuellen Menschenrechten verantwortlich sein. Aber auch der interkulturelle
Diskurs hat nur dann Erfolg, wenn er auch kontrovers geführt werden
kann. Dabei ist jede Sorge überflüssig, dass Buddhismus, Konfuzianismus
oder Islam nicht dieselben Möglichkeiten logischer und empirischer Auseinanandersetzung
eröffneten und -- geht es um Gültigkeit -- forderten wie das
Organon des Aristoteles. Nicht "Eurozentrismus" ist die Gefahr, sondern
die fälschliche Annahme, Logik und Empririe seien keine allgemeingültigen
und prinzipiell für alle Menschen akzeptablen und letztlich unvermeidlichen
Kriterien der Erkenntnis und Argumentation.